Die Rituale der Transparenz

Die Rituale der Transparenz Jean Baudrillard Die Ungewissheit der Existenz und zugleich die Besessenheit, den Beweis unserer Existenz zu erbringen, haben heute zweifellos größere Wichtigkeit erlangt als das eigentliche sexuelle Begehren. Besteht Sexualität darin, unsere Identität aufs Spiel zu setzen (bis hin zum Faktum der Kinderzeugung), dann sind wir nicht mehr im selben Maß dazu imstande, uns ihr hinzugeben, weil wir bereits wahrlich genug damit beschäftigt sind, unsere Identität zu bewahren, damit wir die Energie aufbringen, uns anderem zuzuwenden. Vor allem geht es uns darum, den Beweis unserer Existenz zu erbringen, selbst wenn diese keinen anderen Sinn hat, als genau das zu versuchen. Sichtbar wird dies an den neuen Graffities in New York oder Rio. Die vorige Generation brachte Folgendes

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Das verlorene Selbst

Michelangelo Pistoletto, One and One makes Three, Basilica di San Giorgio, Venedig, 2017, Foto: Thomas Redl Das verlorene Selbst Omnipräsenz und Omniabsenz im digitalem Rausch Ekstase der Kommunikation Als User der digitalen Medien sind wir Teil eines neuen Nervensystems, Teil eines unsichtbaren Netzes, das sich über den Planeten spannt. In permanenter Online-Schaltung sind wir – jeder in seiner Kapsel isoliert – in onmipräsenter Kommunikationsbereitschaft. Durch diese Vernetzung sind wir ortsungebunden geworden, quasi ortsfremd, und zeitungebunden, das heißt aus den natürlich örtlichen und zeitlichen Rhythmen herausgehoben. So sind wir im Datennetz omnipräsent und in der Welt der Orte und Körper gleichzeitig omniabsent. Damit wurde das Gesetz des Tausches von Werken abgelöst durch das Gesetz des Tausches von Zeichen. Wir befinden uns,

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